Heute wollen wir uns über ein Ereignis der Vergangenheit unterhalten. Hierbei handelt es sich um einen Ausschnitt aus dem Jahresbericht 1931/32 der deutschen Oberschule Dresden-Plauen der von dem Oberstudiendirektor Herr Dr. Forker verfasst wurde. In dieser Geschichte geht es um einen Ausflug der Untersekunden in das Margarete-Cronau-Heim im Frühling wobei einige Probleme überwunden werden mussten.
Hier ist der Originaltext zu „Unsere Untersekunden im Margaret-Cronau Heim“.
Regen und Sonnenschein
Frühmorgens am zweiten Montage nach Pfingsten stauten sich unsere Untersekunden auf dem Bahnhofe Dresden-Plauen, beladen mit Koffern, frohen Erwartungen und guten Wünschen. Aber der Himmel war noch immer spätherbstlich verhängt mit schweren Regenwolken, und schon vor Kipsdorf öffnete der Regengott erneut seine himmlischen Schleusen. Ununterbrochen, 36 Stunden lang, Tag und Nacht prasselte der Regen hernieder. Die erste Arbeit der im Heim Angekommenem war das Kleidertrocknen. Die Weißeritz, sonst da oben nur ein zahmes Bächlein, wälzte tosend immer bedrohlichere Wassermassen am Heim vorüber; der Rundfunk meldete Hochwasser aus vielen Teilen des Landes. Uns Lehrern wurde bänglich zumute, aber die Jungen und Mädel waren bald Herr der Lage. Sie fühlten sich schnell heimisch, kramten die mitgebrachten und vorgefundenen Spiele hervor, erzählten, scherzten und spielten in Gruppen und Grüppchen, umlagerten Klavier und Tischtennis, durchstöberten die reichhaltige Heimbücherei und ließen in den behaglichen den Nachmittagsunterricht geduldig über sich ergehen erst am Dienstag nachmittag begann sich das Gewölk etwas zu lichten. Da kämpfte sich eine Schar besonders Lufthungriger tapfer durch die rinnenden Fluten und die windgepeitschten Kammnebel hindurch bis Altenberg. Die Aussicht reichte zwar nur bis zum übernächsten Vogelbeerbaum an der Straße, aber schön war’s doch; das oft gehörte Wort von der Rauheit des Erzgebirgekammes war alten zum persönlichen Erlebnis geworden. Am Mittwoch zogen wir nach Tische 60 Mann hoch nach Zinnwald zur Enfahrt ins Zinnbergwerk.. Wir traten gerade aus dem regenfeuchten Wald hinausauf die sanftgeneigte Wiesenhochflächemit dem verstreuten Häuschen, da brach, jubelnd begrüßt, endlich die Sonne durch. Und sie blieb uns treu bis zur Stunde der Heimfahrt am Sonnabendund ließ uns noch noch einmal in diesem Jahe die ganzeUrgewalt des entfesselten Frühlings erleben. Ein Blühen, Wachsen und Musizieren setzte ien in den sonnenüberglänzten Wäldern und Wiesen – da trieb es uns wie die schimmernden weißen Wolkenbälle am klarblauen Himmel hinaus in die Ferne, hinaus in die Schule unserer großen Lehrmeisterin Natur; wir füllten unsere Großstadtlungen mit würziger frischgewaschener Gebirgsluft und erwanderten in den drei Tagen ein einzig schönes Stück Heimaterde.
Das Heimatleben
Das Margarete-Cronau-Heim des Vereins für das Deutschtum im Auslande liegt versteckt und still in der Talenge des Weißerritzoberlaufes, wo sich die weiten Schellerhauer Wiesenhänge und der endlose Erzgebirgswald die Hände reichen. Es vereinigt in sich so recht die die Vorzüge und Einrichtungen einer neuzeitlichen Jugendherberge mit der Behaglichkeit einer netten Sommerfrische. Knaben und mädchen werden in getrennten Gebäuden in Einzelzimmern mit je vier guten Federbetten untergebracht. Im Erdgeschoß befinden such u. a. ein großer Speisesaal mit anschließender Glasveranda, ein gemütliches Unterhaltungszimmer und die Bücherei. Der große lichtdurchflutete Verbindungsgang zum Nebengebäude erfreute sich besonders allgemeiner Beliebtheit. Das Kellergeschoß faßt die Wasch- und Baderäume und die gesamte Küchenanlage. Die von der Heimleitung eingeführte Tageseinteilungfand unseren Beifall. Trompetensignalle unserer „Hornisse“ riefen 7 Uhr morgens die Schläfer in leichter Turnkleidung hinunter zum gemeinsamen Morgenturnen und Waldlauf, bis 8 Uhr mußten die Schüler ihren äußeren Menschen, Zimmer, Bett und Korridor appelfähig herrichten. Die Verpflegung verdient jedes Lob; bei den fünf täglichen Mahlzeiten wurden auch die größten Mäuler gestopft und die wählerischen Gaumen befriedigt. Die Vor- und Nachmittagstunden dienten, je nach dem Wetter, dem Unterricht, sportlichen Unternehmungen und Wanderungen in die Umgebung. Die nach Tisch bis 3 Uhr gebotene Heimruhe sollten die Schüler lesend oder ruhend in ihren Zimmer verbringen. Den Höhepunkt des Gemeinschaftslebens bildeten wohl die Heimabende, über deren wechselvolle Ausgestaltung und erzieherische Bedeutung noch einiges zu sagen sein wird. Die ernsten Kläge eines Chorales oder frische Militärsignale beschlossen den Tageslauf; von 10 uhr ab mußte Nachtruhe herrschen.
Wenn wir unsere Schüler während ihrer neunjährigen Schulzeit bestenfalls zweimal – in U II und in U I – auf je eine Woche ins Landheim schicken, so darf da oben nicht etwa in der Hauptsache der planmäßige Unterricht fortgesetzt werden, sondern es müssen die im die im Heimataufenthalt liegenden Werte und Möglichkeiten ausgeschöpft werden . Körperliche Ertüchtigung, Stärkung des Gemeinschaftssinnes, selbsttätiger Erwerb wertvoller Anschauungen und Erkentnisse aus der umgebenden Natur und Landschaft – das sind die Gesichtspunkte, nach denen wir in erster Linie den Erfolg einer solchen Heimwoche zu beurteilen haben. Prof. Dr. Schlesinger hat in letzter Zeit an 1500 Schulkindern durch Messung der gewichts und Längenzunahme, durch Prüfung der körperlichen Leistungsfähigkeit und der Erholung den Erfolg der Ferien gemessen. Der beste Erfolg wurde erzielt bei einem Aufenthalt in einem Zeltlager oder in einem Schullandheim, wenn er, wie in unserem Falle, verbunden war mit einem gehenden Wechsel der Umwelt, mit einem Heraus aus der Großstadt und der altgewohnten Familienhäuslichkeit, mit anderer Verteilung von Arbeit, Spiel und Erholung, mit regelmäßiger sportlicher Betätigung und mit anderen Pflichten und mit anderem Speisezettel. Geradezu begeistert haben mir Mütter berichtet, wie gekräftigt, wie seelisch gehoben und beglückt, wie umgewandelt von den paar Tagen ihre Kinder zurückgekommen seien. Diese Urteile zeigen zugleich die Kaum zu unterschätzenden erziehlichen Einflüsse des neuartigen Gemeinschaftslebens auf die ganze Wesensart der Schüler. Sie mußten, überwacht von selbstgewählten Warten, selbst für die äußere Ordnung sorgen, bei Tische und in der Küche kleine Hilfeleistungen verrichten, sich einer festgefügten Hausordnungunterwerfen und Rücksicht auf andere nehmen; sie sahen das wohltuende Verhalten gut erzogener Kameraden, die vornehm-bescheidene, gütige und hilfsbereite Art des Heimleiters und seiner Gattin, sie teilten mit anderen die Freuden des Heimes, bei Spiel und Sport, an den allen unvergeßlichen Heimabenden. An zwei Abenden lauschten die Schüler tief ergriffen, wie der Heimleiter Baron Dr. v. Ungern-Sternberg, ein vertriebener Deutsch-balte, seine Schicksale als Geisel der Bolschewisten schilderte, ein anderere Abend war durch Erzählen, Vorlesen und Musikvorträge ausgefüllt, und während am letzten heimabende im Speisesaale die Tanzlustigen auf ihre Rechnung kamen, plauderte ein Lehrer in einem anderen Raume zu den Nichttänzern über den Kampf ums Matterhorn von Whymper bis Toni Schmidt.
Die wundervoll gelegene Spielwiesedes heimes konnten wir infolge des Wetters erst in der zweiten Hälfte der Woche ausnützen. Ein Sport stand jedoch die ganze Woche in Blüte und füllte auch die kleinsten Pausen im Heim aus: das Tischtennis. Ein regelrechtes Turnier wurde über mehrere Tage hin ausgefochten, und es war eine Lust zu sehen, welches maß von Gewandheit und Speilbeherrschung einige Jungen bereits erworben hatten. Die Belegschaft des Heimes des Freimaurerinstituts forderte unsere Jungen zu einem Fußballkampf auf ihrer eigenen Sportwiese, erlitt aber eine ganz gehörige Niederlage. Unsere siegreiche Mannschaft empfing abends bei Bekanntgabe des Spielverlaufs donnernden Beifall. Der das ungezwungene Leben und Treiben beobachtende Lehrer entdeckte, zumeist zu seiner Freude, so manche Wesensseitean den Schülern, die ihm im Getriebe des geregelten Unterrichts bisher entgangen war; da entpuppten sich die einen als Torwarte, Tennismeister, umsichtige Spielführer und unverbesserliche Witzbolde, während sich die Leseratten, die Naturforscher und die Schachspieler abseits hielten. Die Unterrichtsstunden am Anfange der Woche vermittelten den Schülern vor allem ein Kartenbild der Heimumgebung und machten sie vertraut mit dem geologischen Aufbau des Gebietes und mit der Geschichte und den Lagerungsverhältnissen der Altenberg-Zinnwalder Zinnbergwerke. So vorbereitet, brachten unsere Wanderungen und die Einfahrt in den Tiefen Bünaustollen reichen Gewinn. Bei herrlichstem Wetter besuchten wir das vom Heimatschutz zugänglich gemachte einsame Georgenfelder Hochmoor; am letzten tage statteten wir Oberbärenburg einen Besuch ab. Den tiefsten Eindruck von der erzgebirgischen Landschaft hinterließ wohl ein Gang nach den blumenübersäten Bergwiesen rumd um den geising und der Rundblick vom Geisingturm. Da lag unser heimatland ausgebreitet von unseren Blicken wie aufeiner Landkarte: die weite wellige frühlingsgrüne Kammhochfläche mit ihren verlorenen Siedlungen, tiefeingeschnittene Flußläufen und dunklen Wäldern, in der Ferne das Elbtal, das Lausitzer Land, die Felsen des Elbsandsteingebirges und die zahllosen Kegelberge Nordböhmens. Bis zur letzten Minute vor dem Abstieg, wohl eine Stunde lang, hielt eine Schar Knaben dort oben Ausschau, begeistert und wissensdurstig genießend und forschend. Auf ihre dringenden Bitten hin führte ein andere Lehrer die geographisch und naturwissenschaftlich besonders interessierten Schüler am letzten Vormittag noch einmal durch die Herrlichkeiten des Geisinggebirges.
Sport, Unterricht, Wanderungen
Eine einzigartiges Anschauungsmittel für unseren Heimataufenthalt sonnl noch genannt werden für unseren Heimaufenthalt soll noch genannt sein: der Siebergarten, der Gebirgspflanzengarten des Landervereins Sächsischer heimatschutz. Oben über den letzten Häusern von Schellerhau haben in reicher Fülle Pflanzen der Alpen und des Erzgebirges eine Heimatstätte gefunden, die ihre eigenartigen Wuchsformen, fesselnden Anpassungen und leuchtenden Farben unübertrefflich zur Schau stellt. Hier gibt es dankbarsten Arbeitsstoff für kleinere Gruppen reiferer Schüler; beim klassenweisen Besuch lenkten wir die Blicke unserer Schüler besonders auf die eindrucksvollen großen Gruppen der in Sachsen geschützten Pflanzen und ermahnten sie, an ihrem teil mitzukämpfen gegen die Verwüstung unserer heimatlichen Natur und Pflanzenwelt. Die Stunde des Abschiedes nahte allzuschnell. Dankbaren Herzens gedachten wir beim letzten gemeinsamen Mittagsmahl besonders der Elternschaft unserer Schule, deren Opfersinn in großer Notzeit auch den Ärmsten unter uns die beglückende Wohltat dieser Landheimwoche zuteil werden ließ. Hoffen und wünschen wir, daß noch recht viele Jungen und Mädel unserer Anstalt von da oben heimziehen mögen wie wir: reicher geworden an Gesundheit und Lebensglück , gestärkt im Wissen, Können und Wollen.